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Allerlei Historisches

Über die Nachtwächter im Alten Zürich.


Ursprung des Nachtwächterwesens

Vor dem Jahre 1336, also bevor in Zürich eine Zunftverfassung eingeführt wurde, gab es nur sporadisch Nachtwächter – vor allem natürlich in Kriegs- und Krisenzeiten.

Später, ab Mitte des 14. Jahrhunderts, wurde die Nachtwache unter den Zünften aufgeteilt. Der Lindenhof und das Gebiet rund um den St. Peter musste zum Beispiel von Mitgliedern der Zunft zur Waag und von den Meisenzünftern kontrolliert werden.

Im Schnitt – je nach Grösse der Zunft – wurde man alle 4–10 Tage zur nächtlichen Bürgerwache eingeteilt. Diese Regelung galt noch weit bis ins 17. Jahrhundert hinein. Im Krankheitsfall durfte man sich auf der Wache nur durch einen Verwandten oder allenfalls durch einen Mitzünfter vertreten lassen.

Wunschdenken des Rates und Wirklichkeit klafften aber oft weit auseinander: Wer schlau war und genügend Geld besass, rekrutierte für ein verhältnismässig geringes Handgeld einfach einen «Hintersassen» (Bewohner der umliegenden Dörfer Zürichs), der für ihn den Wachdienst erledigte. In vielen Fällen waren diese Ersatzleute alles andere als zuverlässig.

In einem Ratsprotokoll von 1621 wird denn auch beklagt: «Item, dass schier keyner der Burgeren syn Wacht selbst vertäte sondern mehrtheil ir Knecht oder Hintersassen dahin schikind.» Mitunter wurden auch ehemalige Reisläufer (Landsknechte) als Spettwächter eingesetzt.

Dieser Ersatzwächter gaben des öftern Anlass zu Klagen: Nicht nur, dass sie zu spät (oder mitunter gar nicht) zum Wachdienst erschienen, manche mussten auch wegen Trunkenheit im Dienst verzeigt werden.


Disziplinarordnung und Pflichten der Nachtwächter

In der Verordnung für die Zürcher Nachtwächter von 1630 heisst es unter anderem: «Also söllend die Wächter auf der Wach nid fluochen, noch schweeren, noch unnütze Zoten ryssen und spillen. Sy söllent und ouch nid essen und trinken.» Ausdrücklich wurde auch das «überweinen» (sprich exzessive Weintrinken) als schweres Wachvergehen bezeichnet.

1660 konnten es aber zwei Nachtwächter nicht lassen, ein «herumliegendes» Weinfass auf dem Rindermarkt anzuzapfen (raffinierterweise benutzten sie dazu Strohhalme). Zur Strafe für ihre Missetat wurden sie für den Rest der Nacht in den Wellenberg-Turm gesperrt und am folgenden Tag auf den Schandesel gesetzt. Einem Wirt, der einen Nachtwächter bei sich einkehren liess, drohte eine massive Busse.

Die Obrigkeit der Stadt Zürich versuchte die Präsenz der Nachtwächter ab Mitte des 17. Jahrhunderts vermehrt zu kontrollieren und ordnete deshalb an, dass sich die Nachtwächter zu jeder Stunde einmal auf dem Wachtposten beim Rathaus zu melden hatten.

Einmal kam es jedoch vor, dass gar kein Nachtwächter auf der Wache erschien: Gemeinhin war es üblich, dass der Zunftweibel die betreffenden Zünfter am Morgen zur Nachtwache aufbot. 1617 hatte der Weibel der Schuhmacherzunft offenbar einen «struben» Tag und vergass deshalb seine Pflicht – was zur Folge hatte, dass an diesem Abend gar niemand in Zürichs Gassen als Nachtwächter umging.

Die Zahl der Nachtwächter schwankte übrigens beträchtlich: Je nachdem, wie bedrohlich der Rat die Lage der Stadt einschätzte, wurden manchmal nur 12 oder in Kriegszeiten über 90 Nachtwächter aufgeboten.

Erste Pflicht der Nachtwächter war es Brände zu entdecken und möglichst schnell Alarm zu Schlagen. Sie hatten ihrem Wachtmeister auch sofort zu melden, wenn sie Verdächtiges in einer Gasse bemerkten. Nächtliche Ruhestörer hatten sie nach Hause zu weisen oder wenn sie renitent wurden, auf die Wache mitzunehmen. Festgenommen wurde auch, wer nachts ohne Laterne unterwegs war. Allein hierdurch machte man sich schon verdächtig, zum sogenannten «lichtscheuen Gesindel» zu gehören.

Gelegentlich wurden Nachtwächter auf der Gasse auch tätlich angegriffen oder gar mit Steinen beworfen. Unbeliebt waren die Nachtwächter vor allem bei den «Überhöcklern» in den Wirtsstuben. Nach neun Uhr abends war eigentlich Sperrstunde. Wackere Trinker scherten sich aber öfters nicht um diese Regelung und gingen, wenn man ihnen Zapfenstreich bot, nicht selten erbost mit einem Stuhlbein auf den Nachtwächter los.

Manchmal war es für die Nachtwächter aber ratsamer, eine Konfrontation zu vermeiden und mit den späten Zechern mitzutun, wie folgende Anekdote aus dem Jahre 1799 zeigt:
Damals, während des zweiten Koalitionskriegs, lagen russische Soldaten in der Stadt Zürich. Eines Abends hatten 18 wackere Russen herausgefunden, dass im Keller des Hauses «Zur Glocke» 12 grosse Weinfässer standen, die bis zum Rand gefüllt waren. Unbemerkt drangen die Russen in den Keller ein und liessen sich ordentlich vollaufen. Der Nachtwächter wurde erst gegen Mitternacht auf die johlenden Russen aufmerksam, rief sofort Verstärkung herbei. Bis zum Morgengrauen hätten die Nachtwächter den Russen wacker Bescheid getrunken. (Anders hätten sie ihnen kaum beikommen können...)


Die Gassenwächter oder Stundenrufer

Im Jahre 1667 beschloss der Rat der Stadt Zürich, nebst den Zunft- bzw. Bürgerwächtern auch noch 12 hauptamtliche Nachtwächter, sogenannte Gassenwächter oder Stundenrufer («Stundenmählder») anzustellen. Sie unterstanden dem Kommando des Rathauswachkommandanten.

In der Regel begann ihr Dienst nach dem Läuten der sogenannten Torglocke, um 9 Uhr abends (im Winter um 8 Uhr). Die ersten sechs Wächter versahen den Dienst bis Mitternacht. Die zweite Schicht ging in den Gassen bis um 3 Uhr (im Winter bis 4 Uhr) um.

Hauptaufgabe der Gassenwächter war natürlich das Ausrufen der Stunden. Die Ruforte waren genau bezeichnet, teilweise war sogar die Rufrichtung in einer Gasse festgelegt.

Die Vermutung liegt natürlich nahe, dass Bürgerinnen und Bürger mit einem leichten Schlaf durch den Stundenruf immer wieder aufgeschreckt wurden und sich dadurch in ihrer Ruhe empfindlich gestört fühlten. Interessanterweise gab es im alten Zürich aber auch Leute, die den Stundenruf sehr schätzten und eine gewisse Summe an die Stadt zahlten, damit der Nachtwächter vor ihrem Haus seinen Ruf erschallen liess.

Der Stundenruf gab den Leuten Sicherheit. Er zeigte an, dass die Wache auf ihrem Posten war und nach möglichen Brandherden oder lichtscheuem Gesindel Ausschau hielt.

Ein Nachtwächter, der den Stundenruf vergass oder nicht korrekt ausführte, hatte mit einer empfindlichen Geldbusse zu rechnen. Zu einem ordentlichen Nachtwächterruf gehörte am Schluss auch ein kurzer Hornstoss. Wie wir aus den Chroniken erfahren, waren aber nicht alle Nachtwächter im alten Zürich in der Lage, dem Instrument einen halbwegs sauberen Ton zu entlocken. Da das Horn vor allem auch im Brandfall von entscheidender Bedeutung war (Feuergefahr wurde drei markanten Stössen angezeigt), wurden die fehlbaren Wächter öfters vom Rat gerügt. Im Jahre 1653 wurde sogar angeordnet, dass Wächter, welche das Hornblasen nur mangelhaft beherrschten, ins Sihlhölzli (8 km ausserhalb der Stadt) marschieren mussten, um dort das korrekte Blasen zu üben.

Die Gassenwächter hatten auch die Pflicht, in stündlichem Abstand den Hochwächter auf dem St. Peterturm zu kontrollieren. Dies geschah mit dem Kontrollruf: «So Hochgsell, so!» Der Hochwächter musste dann mit «Hochwacht hie!» quittieren. Im Bedarfsfall konnte der Nachtwächter später auch mit einer Glocke die Anwesenheit des Hochwächters kontrollieren.


Kleidung und Ausrüstung der Nachtwächter

In einer Regelung der Stadtwache Zürich aus dem Jahr 1779 heisst es: «Ein Wächter trägt einen dunkelblauen Rock mit rothen Aufschlägen nach damaligem Schnitt, weisse Beinkleider (Socken) und einen Dreieckigen Hut.» Zur Ausrüstung gehörten ausserdem eine Laterne, ein Horn und eine Hellebarde. 1643 wurde zur Bewaffnung der Nachtwächter ausserdem verfügt: «Es solle ouch jeder Wächter, er syge Houptmann oder nit, mit einem guoten Schwert und Halbarten, Knebelspiess ald Hundbiel usgerüstet syn und deheiner fürohin mehr schlechte Tachsgäbelinen uff die Wach bringen.»


Das Ende der Zürcher Nachtwächter

Nachdem im April 1798 französische Truppen in Zürich einmarschiert waren, wurde praktisch die ganze Stadtverwaltung von Grund auf neu organisiert. Der alte Rat musste abtreten und an seine Stelle trat eine Munizipalbehörde, die von nun an (zunächst nur mit dem Segen der französischen Besatzer) die Geschicke der Stadt lenkte. Es dauerte allerdings noch mehr als ein Jahr, bis sich eine Polizeikommission bildete, welche u. a. dafür zuständig war, das Wächterwesen neu zu regeln. Im Januar 1800 wurden schliesslich die letzten Nachtwächter aus ihrem Amt entlassen und durch die neu vereidigten Zürcher Stadtpolizisten ersetzt. In anderen Städten, wie z.B. Schaffhausen (1893) blieb das Nachtwächteramt aber noch bis Ende des 19. Jahrhunderts erhalten.

Im Städtchen Stein am Rhein ging sogar noch bis ins Jahr 1973 ein Nachtwächter um.